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Größenwahn

Etwas zu groß geraten ist der Untertitel - und damit passt er genau: "Als in den Kaffeehäusern die Welt neu erfunden wurde". Nein, da wurde nicht die Welt neu erdacht oder geplant, im Größenwahn trafen sich junge Künstler und palaverten, debattierten über die Welt (weniger über Politik und soziale Probleme als über ihre eigenen Geldsorgen), lasen ihre Gedichte und Geschichten vor, hockten stundenlang bei einer Tasse Kaffee zusammen oder zechten die halbe Nacht. Journalisten, Schriftstellerinnen, Maler, Theaterleute fanden sich an Stammtischen, und in deren Qualm und Dunst entwickelten sie so etwas wie eine revolutionäre Avantgarde des Kulturbetriebs. Den Muff des kaiserlich-bürgerlichen 19. Jahrhunderts wollten sie wegfegen, Neues schaffen. Das fin de siècle war eine Zeit des Umbruchs in Mitteleuropa, und junge KünstlerInnen und Intellektuelle bildeten Kristallisationskerne der Moderne.
In Wien, in Berlin und in München erlangte jeweils ein Kaffeehaus den informellen Namen "Café Größenwahn". Das Alte überwinden, die Welt verändern, alles radikal in Frage stellen - darin sahen ihre Stammgäste ihr gemeinsames Interesse, dort suchten und fanden sie sich, diskutierten, entwickelten Ideen für neue Lebensformen, gründeten Zeitschriften, hofften auf Anerkennung und finanzielle Sicherheit, verliebten sich, nahmen Neuankömmlinge auf, verfeindeten sich, ließen sich protegieren, versuchten berühmt zu werden... Viele wurden bald vergessen, an manche erinnern wir uns heute noch: Ringelnatz, Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus, Else Lasker-Schüler, Frank Wedekind.
Das Buch zeichnet die Entwicklung von zwei Dutzend Protagonisten dieser Epoche nach, erzählt von ihren Begegnungen und ihrem künstlerischen Schaffen. Aus vielen bunten Szenen entsteht ein pointillistisches Gemälde jenes Aufbruchs, der mit dem Ersten Weltkrieg zusammenbrach - der wirkliche Größenwahn zeigte sich in der Machtpolitik.
Gescheitert? Nein, "Café Größenwahn" wirkt nach, bis heute, aber Kaffeehäuser sind nicht mehr die Brutstätte kultureller Umwälzungen. Auch die Dynamik demokratischer Veränderung in der Weimarer Zeit wurde durch eine Katastrophe zerrissen - und sie wirkt dennoch fort. Und wie sähe unsre Alltagskultur aus ohne den Aufbruch in den Jahren um 1968?
Dieses Buch ist nicht das erste zum Thema, (sogar den Titel Café Größenwahn gab es schon mal, wir finden ihn im Literaturverzeichnis). Es ist mit leichter Feder geschrieben, der Autor zeigt Sympathie mit all den Personen, die er vorstellt. Und anschaulich wird alles auch durch die alten Fotos einzelner Protagonisten und der Cafés in ihrer großstädtischen Umgebung.

 

November 2023, Ulrich Hentschel

1890-1915: Als in den Kaffeehäusern die Welt neu erfunden wurde
Einband: gebundenes Buch
EAN: 9783455016567
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