Reich an Farbtupfern und Lichtstrahlen

Viele Jahre lang lebten sie getrennt, obwohl sie einander einst sehr nahe waren. Als der Ostblock zerfiel, hatte die junge Kato ihre Heimat Siebenbürgen verlassen. Lev bleibt in Rumänien, er arbeitet als Holzfäller und im Sägewerk, seiner Mutter und den Großeltern verbunden. Eine bodenständige Existenz, geprägt von Traditionen im Vielvölkerstaat - während Kato das westliche Europa durchstreift und sich als Künstlerin durchschlägt.
Als Kato fortging, hatte sie Lev ihren Schlüssel anvertraut. Es ist der Schlüssel nicht nur zu ihrer alten Wohnung, Lev hütet ihn, weil er spürt, dass der Schlüssel mehr bedeutet, dass die behutsame Wahrung der Erinnerung eine Tür zu Katos Herz öffnen kann.
"Wann kommst du?", nichts weiter schreibt Kato aus Zürich, und so finden sie einander wieder. Eine gemeinsame Zukunft erscheint möglich.
Der Roman beginnt mit dieser Begegnung, und in den folgenden Kapiteln wird die Erinnerung an vorangegangene Abschnitte ihrer beider Leben wachgerufen, zurück bis in die Kindheit, wo sie einander zuerst begegneten. Wie ein Mensch einen anderen kennenlernt, indem er in frühere Phasen blicken darf. Es sind Ausschnitte aus der Fülle von alltäglichen und besonderen Erlebnissen, dort wo der Blick sich weitet und die Atmosphäre offener wird - so wie ein Wald in seiner besonderen Gestalt erfahrbar wird, wo er sich zu einer Lichtung öffnet.

"Lev hörte (der Amsel) zu, sah auf die Fontäne und das Schaukeln der Boote, auf Kato und Warja, die miteinander umgingen, als würden sie einander lange kennen; spürte Leichtigkeit, ein auffliegendes Gefühl aus dem Bauch, ein Kribbeln in den Fingerspitzen und Beinen. Jeder Augenblick, dachte Lev, enthielt alles Gewesene, und war doch immer wieder ein Neubeginn."

Warm und mit tiefem Respekt zeichnet Iris Wolff die Menschen in ihrem Roman. Mit ihrer kunstvoll-schlichten Sprache berührt sie die Leserin, den Leser. Es ist ein Buch, das von Freundschaft und Liebe erzählt, wie ein impressionistisches Gemälde, reich an Farbtupfern und Lichtstrahlen und Schatten, oft nur Andeutungen, und wenn man sich auf sie einlässt, können sie eigene Erinnerungen ins Licht holen.